“Wir sollten uns selbst immer wieder prüfen, denn das Leben verändert uns ständig.”
Seneca
Unsere Persönlichkeit verändert sich laufend, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Jeden Tag lernen wir neue Dinge und nehmen Erfahrungen und Meinungen anderer Menschen in uns auf. Ohne regelmäßige Selbstreflexion kann es uns deshalb schwerfallen, unser Handeln und Denken nachzuvollziehen.
In diesem Artikel werden wir uns ansehen, was Selbstreflexion überhaupt bedeutet, welche Vorteile eine gestärkte Selbstwahrnehmung hat und welche Methoden und Übungen zur Selbstreflexion es gibt. Außerdem findest du in diesem Artikel 20 Fragen, die du als Leitfaden zur Selbstreflexion nutzen kannst.
Was ist Selbstreflexion?
Zu reflektieren bedeutet, gründlich über etwas nachzudenken. Dementsprechend bedeutet Selbstreflexion, sich selbst auf eine ganzheitliche Art und Weise zu betrachten, also inklusive aller Emotionen, Werte, Gedanken und Handlungen. Selbstreflexion wird oft auch als Selbstwahrnehmung bezeichnet.
Wenn sich jemanden wie ein Elefant im Porzellanladen verhält, andere mit seinen Handlungen und Worten verletzt und derjenige die Schuld für alles Schlechte immer bei den anderen sucht, dann hat diese Person vermutlich eine eher schlechte Selbstwahrnehmung. Indem du dich selbst aus einer realistisch-kritischen Perspektive betrachtest und deine Emotionen und Handlungen regelmäßig und ehrlich hinterfragst, kannst du deine Selbstwahrnehmung stärken.
Selbstreflexion hilft dir dabei, im Einklang mit deinen Bedürfnissen zu leben. Nur wenn du erkennst, was hinter deinen Emotionen steckt und was du wirklich willst, kannst du entsprechend handeln. Regelmäßige Selbstreflexion sorgt also dafür, dass du bessere Entscheidungen triffst, besser mit Konflikten umgehen kannst und dass du mehr Vertrauen in deine Handlungen hast, was wiederum zu einem gestärkten Selbstbewusstsein beiträgt.
Die Vorteile einer gestärkten Selbstwahrnehmung
Wenn du regelmäßig Zeit in Selbstreflexion investierst, dann bietet dir das eine Vielzahl von Vorteilen.
- Indem du deine Bedürfnisse besser kennenlernst, wirst du auch deine Handlungen besser verstehen
- Es wird dir leichter fallen, deine Lebensvision zu erkennen und an deinen Zielen zu arbeiten
- Dein Handeln wird strukturierter und lösungsorientierter
- Durch ein realistisches Bild deiner Stärken und Schwächen wächst dein Selbstvertrauen
- Die Analyse vergangener Erfahrungen ermöglicht es dir, bessere Entscheidungen zu treffen
- Deine Intuition wird stärker und äußere Faktoren beeinflussen dich weniger stark
- Deine Beziehungen verbessern sich, da es dir leichter fallen wird, in Konfliktsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren und deine Gefühle klar zu kommunizieren
Die 5 Grundsätze guter Selbstreflexion
Grundsatz 1: Sei gnädig mit dir
Selbstreflexion bedeutet nicht, sich selbst niederzumachen und sich nur Negatives vor Augen zu führen. Mach dir immer wieder bewusst, dass du ein Mensch bist – und Menschen machen nun mal Fehler. Entscheidend ist, wie wir mit unseren Fehlern umgehen und ob wir aus ihnen lernen. Versuche daher, auch Situationen, die auf den ersten Blick betrachtet Mist waren, darauf zu analysieren, was du aus ihnen lernen kannst.
Grundsatz 2: Geduld
Selbstreflexion ist nichts, was man in einer Woche oder in einem Jahr “gelernt” hat. Sieh Selbstwahrnehmung nicht als ein endgültiges Ziel, das du erreichen willst, denn das ist schlicht nicht möglich. Mit jedem Mal Reflektieren wirst du neue Erkenntnisse über dich gewinnen, die dir dabei helfen, dich selbst und deine Emotionen und Handlungen besser zu verstehen.
Grundsatz 3: Beständigkeit
Wie bereits erwähnt, ist Selbstwahrnehmung kein Kapitel, das irgendwann abgeschlossen ist. Schließlich hält das Leben immer neue Erfahrungen, Herausforderungen oder auch Konflikte für uns bereit. In diesen Momenten können wir uns selbst beweisen, ob und was wir aus der Vergangenheit und unserer Selbstreflexion gelernt haben. Versuche, Selbstreflexion in deinen Alltag einzubauen – mache es zu einer Gewohnheit, so wie regelmäßiges Training.
Grundsatz 4: Ehrlichkeit
Selbstreflexion kann nur dann funktionieren, wenn du komplett ehrlich zu dir selbst bist. Wenn du dir Situationen oder Handlungen schönredest, damit du selbst besser dastehst, hast du nichts gewonnen. Redest du dir beispielsweise ein, dass du in deinem Job glücklich bist, obwohl du innerlich weißt, dass du viel lieber etwas anderes machen würdest, dann leidest im Endeffekt nur du selbst darunter.
Wenn du dich während des Reflektierens dabei erwischt, dass du nicht ganz ehrlich bist, dann führe dir vor Augen, dass du die Selbstreflexion nur für dich machst. Niemand kann deine Gedanken lesen. Schreibst du Dinge auf, dann kannst du den Zettel danach immer noch verbrennen. Hör also auf, dich selbst zu zensieren und wähle lieber den authentischen Weg, denn dieser wird dich am Ende zum Ziel führen.
Grundsatz 5: Ruhe
Selbstreflexion funktioniert nicht besonders gut, wenn man zwischen 2 Terminen, eingehenden Anrufen und laufendem Fernseher mal schnell 3 Zeilen in eine Notizbuch schmiert. Nimm dir daher bewusst Zeit für deine Selbstreflexion. Suche dir einen Ort, an dem es ruhig ist und an dem du dich entspannen kannst, schließlich soll deine Aufmerksamkeit während der Reflexion nur bei dir und deinen Gedanken sein.
Manche Menschen fühlen sich entspannt, wenn sie ein Bad nehmen, andere, wenn sie im Wald spazieren und wieder andere fühlen sich dann am wohlsten, wenn sie gerade von einem Treffen mit Freunden kommen. Finde also heraus, was für dich funktioniert.
Selbstreflexion: 4 Methoden für eine bessere Selbstwahrnehmung
Die Reflexionsspirale
Die Reflexionsspirale basiert auf einem Modell von Terry Borton und wird oft in Bereichen wie Coaching und Beratung genutzt. Sie besteht aus 3 Schritte:
- Erfahrung: Man macht eine Erfahrung, etwa durch ein Gespräch mit einem Vorgesetzten.
- Reflexion: Man reflektiert über die Erfahrung und stellt sich dabei mehrere Fragen, um die Bedeutung der Situation und die daraus folgenden Lektionen zu analysieren.
- Was ist passiert?
- Warum ist es passiert?
- Was habe ich daraus gelernt?
- Was hätte ich anders machen können?
- Anwendung: Das, was man aus der Erfahrung und der Reflexion gelernt hat, wird nun angewendet. Außerdem überlegt man, wie man das Gelernte auch in Zukunft nutzen kann.
Filtermodell
Das Filtermodell ist ein Konzept aus dem Bereich der Psychologie. Meist wird es genutzt, um besonders emotionale Ereignisse besser zu analysieren. Es besteht aus 6 Fragen:
- Was ist passiert?
- Was war an diesem Ereignis gut und was war daran schlecht?
- Welches Gefühl hat die Situation in mir ausgelöst?
- Was kann ich aus der Situation lernen?
- Gibt es Verbindungen zwischen dem, was passiert ist und meinem jetzigen Alltag?
- Was kann ich jetzt verändern? Gibt es Personen, die mir dabei helfen können?
SWOT-Analyse
Eigentlich kommt die SWOT-Analyse aus dem Bereich des strategischen Management. Sie kann aber auch in der Selbstreflexion genutzt werden. SWOT steht dabei für Strenghts (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken). Um die SWOT-Analyse für deine Selbstreflexion zu nutzen, kannst du folgendermaßen vorgehen:
- Stärken: Überlege, was du besonders gut kannst und welche Eigenschaften dich auszeichnen.
- Schwächen: In welchen Bereichen willst du dich verbessern? Gibt es vielleicht Eigenschaften, die dein Wachstum hemmen?
- Chancen: Denke darüber nach, welche Chancen sich dir bieten und wie du diese optimal nutzen kannst. Chancen könnten neue Projekte, Karriereziele oder auch das Knüpfen von wertvollen Kontakten sein.
- Risiken: Hast du dir bereits ein Ziel ausgesucht, dann kannst du analysieren, welche Risiken oder Herausforderungen dir auf dem Weg zu deinem Ziel gegenüberstehen könnten. Überlege auch, wie du diese bewältigen wirst.
Zeitleiste des Lebens
Die Zeitleiste des Lebens ist eine weitere Methode für die Selbstreflexion. Sie ermöglicht es, einen Überblick über wichtige Ereignisse, Erfolge, Herausforderungen und Wendepunkte im Leben zu gewinnen. Nimm dir die Zeit und zeichne deine Zeitleiste auf ein Blatt Papier. Durch diese visuelle Darstellung fällt es dir leichter, Zusammenhänge und Muster in deinem Leben zu erkennen, die dir bei der Selbstreflexion helfen.
Außerdem kann es für das Selbstbewusstsein extrem hilfreich sein, wenn man sich vor Augen führt, was man in seinem Leben bisher erreicht hat, welche wichtigen Entscheidungen man getroffen hat und welche Herausforderungen erfolgreich gemeistert wurden.
20 Fragen zur Selbstreflexion
Fragen zur täglichen Selbstreflexion
- Bin ich heute besser geworden?
- Was hat mich (heute) meinem Ziel näher gebracht?
- Was habe ich heute gelernt?
- Wofür bin ich heute dankbar?
- Welche Aufgaben habe ich heute gut gelöst?
- Wer hat mich heute positiv beeinflusst?
- Hätte ich in einer bestimmten Situation heute besser anders reagiert?
- Was war heute mein größtes Hindernis?
- Was habe ich heute für meine körperliche und geistige Gesundheit getan?
- Was hat mir heute Spaß gemacht?
Weitere Fragen zur Selbstreflexion
- Wer bin ich, wenn niemand zusieht?
- Was bedeutet Erfolg für mich?
- Bin ich ein guter Freund?
- Welche Werte sind mir wichtig?
- Warum sind mir gerade diese Werte wichtig?
- Was ist mein größter Traum?
- Was hält mich davon ab, ihn mir zu erfüllen?
- Wofür stehe ich jeden Morgen auf?
- Welche Erfahrungen haben mich zu der Person gemacht, die ich heute bin?
- Was möchte ich am Ende meines Lebens erreicht haben?
Übungen zur Selbstwahrnehmung
Morgenseiten
Die Idee der Morgenseiten stammt aus dem Buch “The Artist´s Way” von Julia Cameron. Bei dieser Schreibübung schreibt man jeden Morgen 3 Seiten, komplett frei, ohne auf Sinnhaftigkeit, Rechtschreibung oder Grammatik zu achten. Man schreibt sich sozusagen alles von der Seele, ohne sich selbst zu zensieren. Die Morgenseiten sollen dabei helfen, den Geist von negativen Gedanken zu befreien und mehr Klarheit und Fokus zu finden. Außerdem sind die Morgenseiten für jeden eine gute Idee, der die Gewohnheit des Schreibens aufbauen möchte.
Journaling
Journaling ist eine weitere Schreibübung für mehr Selbstreflexion. Damit man langfristig davon profitiert, sollte es regelmäßig gemacht werden, im Optimalfall täglich. Durch das Festhalten von Gedanken, Emotionen und Erfahrungen fällt es leichter, diese zu sortieren und über Erlebtes zu reflektieren.
Journaling kann man ganz puristisch machen, etwa in den Handynotizen oder handgeschrieben in einem kleinen Notizbuch. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit, diverse Bücher oder vorgefertigte Journals zu kaufen, die zusätzlich Fragen zur Reflexion enthalten.
Meditation
Regelmäßige Meditation kann dabei helfen, die Gedanken zu beruhigen und den eigenen Geist zu klären. Dadurch können wir uns besser auf unsere innere Stimme und unsere Emotionen konzentrieren. Gerade in einer Welt, in der es an jeder Ecke Ablenkungen und Benachrichtigungen gibt, es ist wichtig, Momente der Stille in den eigenen Alltag einzubauen. Meditation muss nicht unbedingt heißen, dass du 15 Minuten still sitzt und nur auf deine Atmung achtest. Auch ein Spaziergang im Grünen kann meditative Wirkung haben.
3 Gute Dinge
Die 3 Guten Dinge sind eine minimalistische Version des Journalings. Manche Menschen haben nicht die Zeit oder die Lust, jeden Tag ausführlich in ein Journal zu schreiben. Bei den 3 Guten Dinge geht es vor allem darum, eine positivere Sicht auf das Leben zu entwickeln.
Schreibe dir dafür jeden Abend vor dem Schlafengehen 3 Dinge auf, für die du an diesem Tag dankbar bist. Das muss nichts Großes oder Weltbewegendes sein. Auch ein schöner Sonnenuntergang, ein gutes Abendessen oder ein gutes Gespräch mit Freunden oder dem eigenen Partner sind Dinge, für die wir dankbar sein sollten.
Perspektivenwechsel
Manchmal sind wir so in unsere eigenen Probleme und Themen vertieft, dass wir einen regelrechten Tunnelblick entwickeln. Wir fühlen uns in gewissen Situationen ausweglos, weil wir uns schon viel zu sehr verrannt haben. In solchen Momenten kann es helfen, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Stell dir vor, ein Freund wäre in genau deiner Situation. Was würdest du ihm oder ihr raten?
Das eigene Leben öfter mal aus der Vogelperspektive zu betrachten sorgt für die emotionale Distanz, die es braucht, um wichtige Aspekte der eigenen Persönlichkeit, wie etwa bestimmte Verhaltensmuster, zu erkennen.
Fazit
Abschließend kann gesagt werden, dass Selbstreflexion ein wichtiges Werkzeug ist, um sich selbst besser zu verstehen und das eigene Wachstum voranzutreiben. In diesem Artikel hast du mehrere Möglichkeiten kennengelernt, wie du Selbstreflexion in deinen Alltag einbauen kannst und welche Vorteile das für dich hat.
Trotzdem ist es wichtig zu betonen, dass Selbstreflexion ein stetiger Prozess ist. Du wirst nicht eines Tages aufstehen und sagen “Ich bin jetzt selbstreflektiert.” Selbstreflexion erfordert viel Geduld, Zeit und Mühe. Es wird auch Momente geben, in denen es unangenehm ist, ehrlich mit sich selbst zu sein und kritisch über die eigenen Handlungen nachzudenken. Dennoch lohnt es sich, Zeit und Energie in die Selbstreflexion zu investieren, da sie ein wichtiger Aspekt eines glücklichen und erfüllten Lebens ist.
Selbstreflexion: Häufige Fragen
Warum ist Selbstreflexion so wichtig?
Regelmäßige Selbstreflexion hilft dir dabei, deine Persönlichkeit zu entwickeln, bessere Beziehungen zu führen, Probleme zu lösen, Verhaltensmuster zu erkennen und dein Selbstvertrauen zu stärken. Außerdem fördert Selbstreflexion Achtsamkeit, wodurch du deine Aufmerksamkeit besser streuen kannst.
Kann man Selbstreflexion lernen?
Ja, Selbstreflexion ist eine Fähigkeit, die du im Laufe deines Lebens erlernen und verbessern kannst. Dafür braucht es Zeit, Übung, Geduld und Ehrlichkeit. Selbstreflexion lernen kannst du zum Beispiel, in dem du regelmäßig Tagebuch schreibst, meditierst oder den Tag reflektierst.